Scum: Alles Survival oder was?
-
- Dev-Blog
-
Baluba -
15. März 2021 um 10:07 -
5.002 Mal gelesen -
12 Antworten - Empfohlen
Wir begleiten die Entwicklung von Scum seit Beginn des EA. Das bedeutet natürlich auch, dass wir uns so umfassend wie irgend möglich ein Bild zu allem rund um das Spiel und die Entwickler machen. Neben all den Interviews in unterschiedlichen Sprachen und vielen Beiträgen in den sozialen Medien, lesen wir auch Artikel der lokalen Presse und stöbern in verstaubten Ecken des Internets. Wir glauben, dadurch einen recht guten Blick auf das zu haben, was dieses Projekt ausmacht. Das wir dabei nicht immer richtig liegen, hat uns dieser Artikel gezeigt. Nach der Recherche hielten wir es für fair, die Entwickler zuerst drauf schauen zu lassen, schließlich schreiben wir über sie. Und siehe da - es gab einige Dinge, die im Ursprung falsch berichtet oder von uns fehlinterpretiert wurden. Dadurch können wir euch hier nun aber auch einen guten Einblick geben, wie das Projekt zustande kam und wo es hinführen soll.
Die Anfänge
Drehen wir kurz die Uhr etwas zurück und schauen uns die Köpfe hinter diesem Projekt an. Die wohl bekanntesten Gesichter sind der derzeitige Creative-Director Tomislav Pongrac und sein gamepires - Partner, der Technical-Director Andrej Levenski.
Andrej Levenski & Tomislav Pongrac
Tomislav war schon seit seiner Schulzeit -der Ära des Amiga- begeisterter Gamer und Designer in der Demo-Szene. Einige seiner frühen Werke kann man hier finden (Ich bin gespannt, wer dort etwas aus seiner Jugend wiederentdeckt). Auch Andrej ist ein erfahrener Entwickler und arbeitete unter anderem in einer deutschen IT-Firma. Beide haben mittlerweile mehr Berufs-Erfahrung als manch Spieler Lebensjahre. Tomislav entwickelte unter anderem an einem Projekt bei Croteam mit, bevor er gamepires gründete.
Tomislav Pongrac mit Metallica-Shirt bei Croteam
Den Pionieren der kroatischen Entwickler-Szene war eines gemeinsam - sie brannten für Videospiele und lebten und arbeiteten überwiegend von ihren Eltern oder anderen Jobs finanziert in ziemlich bescheidenen Verhältnissen. Ihr "Büro" war oft nur ein Raum in einem der elterlichen Wohnhäuser. Aber das ist noch nicht alles, denn noch etwas anderes unterscheidet die kroatischen Entwickler- Urgesteine von den großen Studios in den westlichen und asiatischen Ländern: Es gibt wenig Konkurrenz im herkömmlichen Sinne und die Studios vernetzen sich innerhalb der CGDA (CroatianGameDeveloperAssociation). Angesichts vieler Widrigkeiten und schwieriger Rahmenbedingungen in Kroatien ein unerlässlicher Schritt. Diese Art der Vernetzung ist aber auch in anderen Ländern und auf europäischer Ebene (EGDF) üblich.
Gemeinsam stark
Sie haben es dadurch geschafft, ihre Anliegen auf die politische Bühne zu bringen. Andrej Levenski ist heute Leiter der CGDA und vertritt die Interessen der kroatischen Game-Developer z.B. vor der kroatischen Handelskammer. Anliegen ist die faire Vermarktung und Besteuerung von Video-Games, welche teils ungerecht abgerechnet wurden, wenn sie auf verschiedenen Märkten erschienen. Viel Anstrengung wird auch in den Abbau der Bürokratie und die Anerkennung der Arbeit im Gaming-Sektor für bestimmte Studiengänge gesteckt.
Nebenbei unterrichten und fördern die Entwickler nachfolgende Entwickler-Generationen. Und ihre Ideen gehen sogar darüber noch hinaus:
ZitatEr (Tomislav Pongrac) weist darauf hin, dass sie seit einiger Zeit versuchen, die Gaming-Engine in die Grundschulen zu bringen. "Lass uns das verbinden. Dadurch können Kinder Mathematik und Physik lernen. Es ist intuitiv, durch Spiele zu lernen. Hier bei Gamepires verwenden wir mehr Mathematik, Physik und Naturwissenschaften als der gesamte IT-Sektor. Das gesamte Rendering ist eine Simulation von Optik, Licht, Schatten, und die heute hergestellten Grafikkarten werden von keiner IT-Software ausgereizt. Ich sage nicht, dass das Militär nicht über diese fortschrittlichen Dinge verfügt, aber Computer- oder Unternehmenssoftware treiben die Technologie nicht voran. "Die Spiele tun das", sagte er.
Eine für sich genommen schon extrem beachtliche Leistung, viel Weitblick und hohe Ziele für ein paar Gaming-Enthusiasten, die mit Amiga-Rechnern und Disketten vom Schwarzmarkt ihre Karriere begonnen haben.
Die Anfänge von gamepires
Springen wir zu den Anfängen von Scum. 2008 hatten sich Tomislav und Andrej kennengelernt und gemeinsam den Titel GasGuzlers (auf Basis der selbst entwickelten PranaEngine) entwickelt. GasGuzlers konnte letztendlich glücklich -buchstäblich in letzter Sekunde vor Schließung von gamepires- durch Iceberg Interactive veröffentlicht werden und spielte Gewinne ein. Sie hatten nun etwas Startkapital zusammen, um ein größeres Projekt anzugehen. Im Dezember 2015 unterschrieben sie einen Vertrag und begannen das Projekt Scum.
ZitatDas erste Spiel (gasguzlers) dient uns auch dazu, ins Team zu kommen. Der gesamte Markt wendet sich aktiv MMO-Spielen (Massive Multiplayer Online) zu, und wir haben große Pläne in diesem Bereich.(Tomislav Pongrac, 2011)
Die Vorüberlegungen
Dabei standen einige Überlegungen im Vordergrund, die auch eine wichtige Aussage zu ihrer Motivation und ihren Zielen treffen: Sie hatten GasGuzlers quasi im Hinterzimmer entwickelt und über einen sehr langen Zeitraum bei schlechter Bezahlung extrem hart gearbeitet. Ihrer Überzeugung nach macht die persönliche Verbindung zur Community den entscheidenden Unterschied bei der Akzeptanz und dem Erfolg eines Spieles. Sie waren also täglich bis zu 16 Stunden in ihrem Büro oder haben teilweise sogar dort gelebt, um die Anliegen der Spieler zu bearbeiten. Dabei plagten sie immer wieder finanzielle Nöte und am Ende blieben ihnen nur ein paar Anteile am Spiel, was nicht jeden glücklich machte.
Der nächste Titel musste also kommerziell erfolgreich werden und sollte dabei eine vollkommen neue Art der Spieleentwicklung, gleichzeitig aber auch die Umsetzung ihrer Ideal-Vorstellung eines Sandbox-Spieles werden. Sie alle waren begeisterte Gamer und störten sich daran, dass Spiele auf Genres limitiert waren und ihr wahres Potential meist erst durch Mods entfalteten. Ihr Ansatz war, ein Spiel in einem so flexiblen Rahmen zu entwickeln, dass Art und Spielweise den Spielern überlassen bleibt. Es sollte nichts weniger als das beste Spiel aller Zeiten werden und es sollte gemeinsam mit den potentiellen Spielern entstehen.
Den Entwicklern war vollkommen klar, dass ein solches Projekt lange dauern würde und sehr teuer wird. Von Anfang an schwebte also auch die Notwendigkeit mit, finanziell erfolgreich zu sein. Nur das war der ausschlaggebende Punkt für die Wahl der Story, des Genres und der Freigabe im EarlyAccess. Zu dieser Zeit erlebten Open-World-Survival-Games die stärksten Zuwachsraten. Durch die offenen Welten und den sehr auslegungsfähigen Begriff "Überleben" war man flexibel genug, die geplanten Inhalte in diesem Konstrukt zu verpacken. Die Spieler würden aktiv die weitere Entwicklungsrichtung beeinflussen können und gleichzeitig die entwickelten Mechaniken testen können. Eine ständige Wechselwirkung zwischen Spielern und Entwicklern also.
Gleichzeitig ist der Scum EA auch technischer Spielplatz und die Crew versucht, Grafik-Engine und gängige Hardware bis ans Limit auszureizen.
Zitat"Ich habe versucht, einen Kompromiss zwischen dem, was mein Team mit sechs Mitarbeitern kann, der Qualität, die wir bringen können, und der Art und Weise, wie wir das Genre verbessern können, zu finden. Wir wollten damals kein Überlebensspiel machen, wir wollten nur sehen, wozu es fähig ist."
Alles im Griff
GasGuzlers hatte zwar etwas Kapital eingespielt, trotzdem benötigte man noch einen Partner zur Anstoß-Finanzierung. Dieser fand sich und konnte auch einen Verlag von der Idee überzeugen. Die Vorstellungen des Verlages harmonierten aber nicht mit den Zielen und Vorstellungen der Entwickler, sodass sich gamepires später aus allen Verträgen wieder löste und fortan sämtliche Logistik rund um Scum selbst übernahm. Was sich zunächst einfach anhört, war ein sehr schmerzhafter und teurer Prozess, der gamepires heute aber maximale Freiheit in ihrem Projekt gewährleistet.
Das Entwickler-Team umfasste bei Start des EA gerade mal 12 Mann und es war kein Etat, geschweige denn Personal für Werbung vorhanden. Die Aufmerksamkeit erreichte man durch Video-Previews in den sozialen Medien, in denen einige geplante Funktionen des Spiels vorgestellt wurden. Auch das machte die Crew selbst. Ebenso wie unzählige Interviews, Podcasts, Vorträge und Messebesuche.
Zitat„Dieses Spiel ist ziemlich schwer zu erklären, besonders in wenigen Sätzen. Deshalb hatte ich mir vorgenommen, seine Funktionen zu bewerben. Eines dieser Videos war eine Feuchtigkeitsfunktion, die sich mit dem Thema der Ausbreitung von Feuchtigkeit und des Trocknens im Spiel befasste. Man macht also ein Spiel, das ein Shooter ist, und fügt den Aspekt der Luftfeuchtigkeit ein. Wenn es zum Beispiel regnet, wird die Kleidung nass oder wenn der Charakter ins Wasser kommt, wiegt er aufgrund nasser Kleidung ein paar Pfund mehr, verlangsamt dich und verbraucht mehr Energie. Und deshalb muss man sich am Feuer trocknen “ (Tomislav Pongrac)
Hier kann man sich dieses Video und einige andere mehr ansehen. Sie waren damit so erfolgreich, das Scum zum Start des EA zum einem der meistverkauften Spiele innerhalb 24h bei Steam wurde. Wir sehen diese Strategie auch heute wieder. Nachdem zwischenzeitlich so etwas wie ein Publicity-Team existierte, stellt uns mittlerweile wieder der Creative-Director persönlich die neuesten Arbeiten auf Twitter vor und die Crew tingelt zu mehrstündigen Interviews durch Streams.
Der Grund ist, dass Tomislav und Andrej eine Vision haben, die sie möglichst ohne große Zwänge von außen umsetzen wollen. Sie verfolgen dieses Ziel sehr hartnäckig und haben sich für sich selbst vorgenommen, es in 4-5 Jahren geschafft zu haben. Die Entwicklung von dem, was Scum ausmachen wird, soll aber auch danach weitergehen.
Zitat"Ich habe genug von diesem ganzen Universum, es ist zu viel Verantwortung. Es ist nicht mein Ziel, eine Wohnung, ein Haus und einen Porsche zu kaufen. Ich bin hier, um dem gesamten Team eine Vision zu vermitteln, sie zu motivieren und eines Tages gemeinsam ein Produkt entwickelt zu haben, das möglicherweise auf AAA-Ebene liegt. Dabei lernen die Menschen viel und werden gut bezahlt. (Tomislav Pongrac)
Finanzierung
Für gamepires steht nicht wirklich die maximale Gewinn-Optimierung im Vordergrund. Die wirtschaftlichen Aspekte spielen aber natürlich bei allen Entscheidungen auch eine Rolle und sie benötigen selbstverständlich Einnahmen, um ihr Projekt finanziell stabil zum Abschluss bringen zu können. Die Entwickler haben auch dies erstaunlich offen dargelegt. Bisher (Stand heute) haben sie etwa 30 Millionen Euro umgesetzt. Davon gehen 30% an Steam. Epic-Games (welches die Unreal-Engine beisteuert) bekommt ebenfalls einen Teil. Nicht zu vergessen das Finanzamt, welches sich eine große Scheibe abschneidet. Die Erlangung der Unabhängigkeit war ein zusätzlicher enormer finanzieller Kraftakt. Trotz allem sind sie nun ihre eigenen Herren und stehen finanziell auf recht soliden Füßen.
Die verbleibenden Gewinne und die laufenden Einnahmen sollten ausreichen, um Gehälter, Miete, neue Hardware und einiges mehr zu sichern. Was die Hardware angeht, sind noch einige Wünsche auf dem Zettel. Zwar konnte mittlerweile ein eigenes Motion-Capture Studio eingerichtet werden, für einige andere technische Aufrüstungen hat es bisher aber noch nicht gereicht.
Ausblick
Längst legen Tomislav und Andrej nicht mehr nur selbst Hand an. Sie bilden aus, leiten an und motivieren ihr Team. Sie bauen Netzwerke auf, fördern das KnowHow der heimischen Entwickler-Szene und versuchen, gamepires durch die wirtschaftlichen und politischen Widrigkeiten in ihrer Heimat zu manövrieren. Sie zahlen ihren Leuten faire Löhne und der Aufbau und Wissens-Transfer in ihr Team beginnt sich ganz langsam bemerkbar zu machen.
Mittlerweile ist fast die Hälfte der Reise geschafft. Die ursprünglich 12 Leute aus dem Büro im Haus von Oma Marija in Vrapče sind in ein großes Büro in Zagreb umgezogen und haben ihr Team deutlich vergrößert (wenngleich sie damit im Vergleich nicht einmal die Größe manch einer Merch-Abteilung erreichen). Trotz allem bleiben sie ihrer Devise treu, bodenständig und nahbar für die Spieler zu sein. Sie beantworten fast alle Anfragen und nehmen Wünsche und Anregungen auf, auch wenn sie ganz sicher ab und an bereuen, diesen Weg eingeschlagen zu haben. Ihre Planung ist solide und langfristig und basiert auf den langjährigen Erfahrungen der Köpfe bei gamepires.
Also was jetzt?
Gut, läuft also. Und was soll Scum nun sein? Lassen wir ein par Zitate sprechen:
ZitatDie Jungs von Gamepires, sagen sie, werden den Spielern mit Erklärungen und Richtlinien helfen, damit diejenigen, die dominieren wollen, dies tun können, aber gleichzeitig darauf zählen, eine Community rund um das Spiel zu bilden, die selbst Informationen darüber generiert, wie man das Spiel am besten spielt.
"Das Spiel wird niemanden zwingen, etwas zu tun." Die Ziele werden den Spielern bekannt sein, sie werden erreicht werden können, aber das ist nicht die einzige Möglichkeit, das Spiel zu spielen. Ein pazifistischer Ansatz wird ebenso wie die Forschung eine legitime Option sein “, sagen Pongrac und Levenski.
ZitatTomislav Pongrac:
“SCUM ist ein großer Sprung nach vorne für Survival Games. Wir haben neue, komplizierte Systematiken hinter die bekannten Genre-Elemente implementiert, um so neue Gameplay-Szenarien zu erzeugen.”
"Wir bereiten nur die Kulisse für die Spieler vor"
Wir erstellen eine Sandbox-Umgebung, die es uns ermöglicht, die entwickelten Spielmechaniken auch für zukünftige Projekte verwenden zu können. Das ist etwas, was wir mit keiner anderen Art von Spiel machen könnten. Die EA-Phase eignet sich hervorragend für das Prototyping. Wir können direkt sehen, ob die Dinge richtig funktionieren, weil schon viele Spieler sie live testen.
Uns erwartet also etwas, was es bisher so noch nicht wirklich gibt. Ein Sandbox-Game, aus dem quasi alles entstehen kann. Wir haben es weiter oben schon geschrieben: Die Sandbox-Umgebung ist auch technische Spielwiese. Gamepires testet neue Systematiken, neue Mechaniken und wie weit die Hardware ausgereizt werden kann. Und ihr - die Spieler- testet mit (wenn ihr das wollt). Wenn ihr gute Ideen habt, ist die Chance ziemlich hoch, dass sie sich im Spiel wiederfinden. Denn auch die Kommunikation zwischen euch und den Entwicklern - sei es direkt oder über eine Plattform eurer Wahl- ist Teil des Konzeptes.
Am Ende steht vielleicht ein AAA-Titel, der deutlich mehr als nur ein besseres Überlebensspiel sein wird. Eine offenen Welt, in der die Spieler entscheiden, was sie tun wollen und wie sie ihre Ziele erreichen. Und dieses Ende ist der Release von V1.0 - und damit gleichzeitig schon wieder ein neuer Anfang:
ZitatUnd die wahre Zukunft dieses Spiels liegt nicht in Scum wie es jetzt ist, sondern wie es in zehn Jahren sein wird. Es ist ein Projekt, das so lange leben wird. Wer weiß, es könnte Scum 2 sein, aber dann höchstwahrscheinlich ohne mich “ (Tomislav Pongrac)
Wir hoffen, euch damit einige neue Infos zugänglich gemacht zu haben. Vieles habt ihr vielleicht schon gewusst, einiges hat euch bisher vielleicht gar nicht interessiert. Bei der Beurteilung des Scum-EA (aber auch in allen anderen Lebenslagen) sollte man unserer Meinung nach möglichst alle Aspekte eines Projektes kennen und berücksichtigen, um zu einer realen Einschätzung der eigenen Erwartungshaltung zu kommen. Denn eines steht fest: Was Scum ist und was es wird, bestimmt nicht allein das Genre, in dem es veröffentlicht wurde. Es ist ein laufender Prozess, der am Ende eine Sandbox-Umgebung zum Ziel hat, in der die Spieler ihr eigenes Spiel nach den eigenen Vorstellungen spielen können. Das kann natürlich Survival sein, muss es aber nicht.
Bild- und Zitatquellen:
- gampires
- Jutarnji list - Naslovnica
- Novac - Novac
- Official website - Croteam
- vecernji - Igor Kralj, PIXSELL
- Tomislav Pongrac
Antworten 12